Theologie der Bach-Kantaten
Jochen Arnold: Von Gott poetisch-musikalisch reden. Gottes verborgenes und offenbares Handeln in Bachs Kantaten. Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie, Band 57. Göttingen 2009: Vandenhoeck & Ruprecht. 488 Seiten. € 76,–
Wollte man aktuelle Tendenzen der Theologie benennen, so dürfte das neu erwachte Interesse an Literatur, Bildender Kunst und Musik keinesfalls fehlen. Gerade im Blick auf Johann Sebastian Bach gibt es zahlreiche interdisziplinäre Forschungen, Lehrveranstaltungen und Publikationen, wodurch frühere Ansätze der „theologischen Bachforschung“ zum einen weitergeführt und zum anderen auf eine breitere Basis gestellt werden. Was nun die sehr gut lesbare Habilitationsschrift von Jochen Arnold auszeichnet und ihr zugleich einen besonderen Platz in Theologie und Bach-Forschung einräumt, ist ihre systematische Absicht. Er führt jedoch nie dazu, dass die Werke in irgendein mehr oder weniger passendes System gepresst werden. Vielmehr fungieren die theologischen Aspekte wie ein Resonanzboden, der Bachs Werke zum Klingen und Verstehen bringt.
Geboten wird an gut gewählten Beispielen eine Zusammenschau des Kantatenwerkes, wobei die musikwissenschaftliche Analyse ebenso gelingt wie die Einordnung der Werke nicht nur in historische Kontexte, sondern zugleich in aktuelle theologische Diskurse und liturgische Möglichkeiten vom Kirchenjahr bis zu thematischen Gottesdiensten. Wie intensiv Bach in seinem Kantaten-Kosmos die Inhalte und Gesten des Glaubens geradezu inszeniert, das ist so deutlich noch nie herausgearbeitet worden wie in diesem Buch.
Die Darstellung ist auf der Höhe gegenwärtiger Forschung und verbindet integrativ viele Aspekte: musikwissenschaftliche Analyse zahlreicher Kantatensätze und praxisbezogene Darstellung etwa im Blick auf Kantatengottesdienste, historische Bezüge und Sensibilität für das komplex-dramatische Wort-Ton-Geschehen einer Kantate. Fruchtbare theologische Aspekte heißen etwa „Gottes verborgenes Wirken“, „Gesetz und Evangelium“, „Gottes Fürsorge und Weltregiment“ oder „Gottes Offenbarung als der Dreieinige“. Unter den so analysierten Werken finden sich Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, O Ewigkeit, du Donnerwort, Ich hatte viel Bekümmernis und etliche andere Werke. Sehr geglückt und zugleich in vielen Aspekten neu sind Arnolds „Abschließende Thesen zur Theologie und Spiritualität in Bachs Kantaten“. Diesem Buch ist nicht nur eine breite, sondern vor allem eine tiefe und interdisziplinäre Rezeption zu wünschen.
Meinrad Walter
aus: Musik & Kirche 5/2010
Gelungene Elementar-Liturgik
Jochen Arnold: Was geschieht im Gottesdienst? Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht.
220 Seiten € 19,90,–
Es ist nicht selbstverständlich, dass der Verfasser einer dicken Dissertation Theologie des Gottesdienstes (2004) der Transformation ins Elementare mächtig ist und eine Liturgik sozusagen im Taschenformat zuwege bringt. Jochen Arnold allerdings hat hier auf Wunsch des Verlags eine Einführung vorgelegt, die in kluger Gliederung wie Akzentuierung und mit gut fasslicher Sprachgestaltung ihrer Aufgabe voll gerecht wird, das Themenfeld Gottesdienst „einem größeren Kreis von Leserinnen und Lesern zugänglich zu machen“ (S. 7). Für das vielfach zu konstatierende liturgische Interesse bei Kirchenvorständen und engagierten Laien, gerade auch im kirchenmusikalischen Dienst, ist dieses Taschenbuch ideal.
Agendarischer Bezugspunkt ist das Gottesdienstbuch. So sind beide Gottesdienstgrundformen und damit die verschiedenen landeskirchlichen Prägungen im Blick. Aber auch die derzeitigen Reformprozesse (Kirchenjahr und Perikopenordnung) werden horizonterweiternd angesprochen. Während vergleichbare Titel oft ausgiebig die historischen Entwicklungen referieren, sind hier wohltuend und sachdienlich die theologischen Dimensionen der gegenwärtigen Praxis und Perspektiven für die Zukunft akzentuiert, ohne dass wesentliche Punkte der historischen Genese fehlen würden. Unerlässlich für den Blick nach vorn werden auch neuere „alternative“ Gottesdienstmodelle vorgestellt und auf ihre „Essentials“ hin strukturiert. Dabei kann der Autor Erkenntnisse aus seiner Tätigkeit als Leiter des Hildesheimer Michaelisklosters einbringen, des Gottesdienstzentrums für die hannoversche Landeskirche.
Theologische Schwerpunkte sind ein überzeugendes Plädoyer für die Psalmen als Sprachreservoir des Betens, eine ausführliche Reflexion des Abendmahls und eine Segenstheologie en miniature. Umfangreiche Ausführungen zur Musik im Gottesdienst und zu den Ordinariumsstücken belegen die kirchenmusikalische Profession und Leidenschaft des Autors. Den Spagat zwischen deskriptiver und normativer Darstellung, letzteres dem theologischen Interesse eigentlich näherliegend, bewältigt er erstaunlich realitätsfreundlich. Die alte Kategorie des „Adiaphoron“ (so oder so möglich) gefällt ihm offensichtlich. Dass der Heilige Geist nicht zwingend ein Freund formalkonservativer Liturgik ist, wird jedenfalls erfrischend deutlich. Überraschend sind bisweilen auch Liedzitate zur Pointierung, aber nicht aus ehrwürdigen „Chorälen“, sondern aus „Neuen Liedern“!
Manchen Liturgikern mag missfallen, dass Arnold „Kyrie“ und „Gloria“ im Zuge seiner Psalmenexegese als Klage und Lobpreis polar versteht und darum gern separiert, oder dass er ein Freund thematischer Profilierung jedes Gottesdienstes ist. Trotz des „geschieht“ im Titel ist die „dramaturgische“ Reflexion nicht sehr ausgeprägt und die Milieuproblematik – ein weiteres Modethema – zwar benannt, aber nicht weiter gewichtet. Eine gute Arbeitsgrundlage für Gespräche über den Gottesdienst vor Ort bilden jedenfalls die abschließenden zwölf Thesen.
Konrad Klek
aus: Musik & Kirche 6/2010